Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

McCarten, Anthony - Englischer Harem




McCarten, Anthony - Englischer Harem

Beitragvon Karthause » 01.09.2009, 16:47

Nichts ist so, wie es auf den Blick scheint.

Tracy Pringle, 20 Jahre, wohnt bei ihren Eltern in einem trostlosen und baufälligen 23geschossigen Wohnhaus in einem Londoner Vorort. Sie ist Kassiererin in einem Supermarkt und Tagträumerin. Tief in ihre Traumwelt versunken, reagiert sie bei einem offensichtlichen Diebstahl nicht und verliert infolge dessen ihren Job. Sie bewirbt sich in dem vegetarischen Restaurant „Persischer Garten“ um die Stelle einer Kellnerin. Saaman Sahar, der Inhaber, aus Teheran stammend, Sohn einer Metzgerdynastie, Moslem, Oxford-Absolvent und Mitglied eines anglikanischen Kirchenchores, ist zunächst nicht interessiert. Aber Tracy kämpft und bekommt die Stelle auf Probe. Sie setzt sich intensiv mit der persischen Kultur auseinander, Saaman beantwortet ihr die Fragen so gut er kann, aber schon bald weiß Tracy mehr als er. Schnell freundet sich Tracy mit seinen beiden Ehefrauen an. Firouzeh ist die Witwe seines Bruders, es war für Sam, wie er sich in England nennt, eine Ehrensache, sie zur Ehefrau zu nehmen und ihren Kindern ein Heim zu geben. Yvette ist Französin und auch sie hat er nicht ohne Überlegung geheiratet. Tracy ist vom Leben der Sahar’s begeistert, sie kommt ihrem Chef langsam näher, aus anfänglicher Freundschaft wird schnell Verliebtheit und so wird sie schließlich Ehefrau Nummer 3. Für Tracy’s Eltern ist das zuviel, sie können diesen englischen Harem nicht mit ihrem Weltbild vereinbaren und sind strikt gegen diese Beziehung. Und auch die englischen Behörden bekommen Informationen über diesen ungewöhnlichen Fall von Polygamie und werden aktiv.

"Englischer Harem“ ist eine Liebesgeschichte, eine Tragödie, ein Drama, eine Komödie, ein Gesellschaftsroman und eine Familiengeschichte, oder besser gesagt, von jedem etwas. Anthony McCarten betrachtet in seinem Roman die allgemein bekannten Vorurteile Einheimischer gegenüber Migranten und fremden Kulturen – und umgekehrt. Er scheut sich nicht, die gängigen Klischees aufzugreifen und ad absurdum zu führen. Manche Stellen in dem Buch fand ich skurril und überzogen. Als künstlerisches Mittel ist dies aber durchaus geeignet, den Leser nachdenklich zu stimmen, ihm die Augen zu öffnen und ihn in den vorgehaltenen Spiegel schauen zu lassen. Auch ich stellte mir schon mal die Frage, wie ich als Mutter von Tracy reagiert hätte.

Die gegenseitigen Vorurteile und die sich daraus ergebenden Missverständnisse hat der Autor auf sehr nachvollziehbare, warmherzige und intelligente Art und Weise beschrieben. Nie hat er verurteilt, nie den moralischen Zeigefinger erhoben. Er hat Situationen beschrieben und dem Leser die Wertung überlassen. In kürzester Zeit habe ich dieses Buch gelesen. Es hat mich beeindruckt und es hat mich berührt, aber es hat mich auch schmunzeln lassen. Dieses Buch mochte ich von Beginn an sehr gern und das Ende war eine Klasse für sich.

Mein Fazit: „Englischer Harem“ ist weitaus mehr als eine simple Liebesgeschichte einer traumtänzerischen Supermarktkassiererin. Es zeigt unterhaltsam auf, wie wichtig Toleranz und Akzeptanz sind und welche Folgen Vorurteile und Missverständnisse nach sich ziehen können. Die Geschichte um Tracy Sahar wird sicher noch eine Weile in meinem Kopf nachwirken. Selten habe ich Anspruch und Unterhaltung auf so vergnügliche Art verknüpft gefunden.

Über den Autor
(Quelle: Diogenes.ch)

Anthony McCarten, geboren 1961 in New Plymouth/Neuseeland. Mit 25 (mit Stephen Sinclair) weltweiter Theatererfolg ›Ladies Night‹, in der unautorisierten Filmadaption (›The Full Monty/Ganz oder gar nicht‹) eine der weltweit erfolgreichsten Filmkomödien. Seine zwei ersten Romane bei Diogenes, ›Superhero‹ (2007) und ›Englischer Harem‹ (2008), waren beide große Kritiker- und Publikumserfolge.

:stern: :stern: :stern: :stern: / :stern:

Bild
Viele Grüße
Karthause

Mein Blog

Fliegen kannst du nur gegen den Wind.
Benutzeravatar
Karthause
SuB-Betreuerin
SuB-Betreuerin
 
Beiträge: 7199
Registriert: 19.04.2006, 19:07
Wohnort: Niederrhein

von Anzeige » 01.09.2009, 16:47

Anzeige
 

Re: McCarten, Anthony - Englischer Harem

Beitragvon Nerolaan » 16.02.2010, 22:42

Tracy's Eltern wünschen sich für ihre Tochter nur eins: das sie glücklich ist, einen guten Job hat und einen tollen Mann heiratet.
Ihre Hoffnungen und Wünsche bekommen allerdings einen Knick, als Tracy verkündet den locker doppelt so alten Sam zu heiraten, der zu allem Überfluss schon zwei Ehefrauen hat.
Von da an beginnt für Tracy, aber auch für Sam, ein Kampf um Selbstbestimmung und um Toleranz...

Als ich das Buch aufschlug und die ersten Seiten gelesen hatte, war ich direkt gefangen: Anthony McCarten entführt den Leser in eine Geschichte aus 1001 Nacht, die aber gleichzeitig in westlichen Gefilden – genauer gesagt London – spielt.

Der Schreibstil ist relativ einfach gehalten und vermag es, den Leser mitten in die Geschichte zu ziehen. Einer Geschichte, in der es um Träume, Wünsche, Verpflichtungen und das Leben geht.

Die Figuren selbst sind ziemlich einfach gestaltet, daher wirken die Handlungen aller oftmals vorhersehbar. Alle Charaktere scheinen aus einem begrenzten Kontingent an Möglichkeiten zu schöpfen, dennoch sind alle auf ihre eigene Art liebenswert und man versucht jeden einzelnen zu verstehen, aber auch, sie mal bei den Schultern zu packen und sie zu bitten, die Augen zu öffnen.
Die oftmals von mir empfundene vorhandene Oberflächlichkeit der Charaktere ist alles andere als schlimm: denn es geht nicht um die Charaktere an sich – diese sind nur liebenswerte Mittel zum Zweck – , es geht um die Gesellschaft und wie sie mit „anders“ Lebenden umgeht.

Englischer Harem vereint viele Facetten: es ist ein Gesellschaftsroman, eine Komödie, aber auch ein Drama.
Der Autor zeigt auf eine einfache, aber logische Weise, wie die Gesellschaft mit anderen Kulturen und Lebenskonzepten umgeht, wie Vorurteile das Leben der Betroffenen tangiert und dieses oft auf eine unglaubliche Art beeinflusst.

Der Roman ist ein Plädoyer für Toleranz und Akzeptanz. Dabei erhebt der Autor nie den moralischen Zeigefinger. Nein, er beobachtet und lässt den Leser sich selbst sein Urteil bilden.

Englischer Harem hat mich auf eine nicht zu beschreibende Art beeindruckt und in seinen Bann gezogen.
Ich bin gespannt auf weitere Romane des Autors und kann diesen nur wärmstens empfehlen!

:stern: :stern: :stern: :stern:/ :stern: (4.5)
Benutzeravatar
Nerolaan
Weltenwandlerin
Weltenwandlerin
 
Beiträge: 2975
Registriert: 08.11.2007, 18:41
Wohnort: Aachen



Ähnliche Beiträge


Zurück zu Belletristik/Unterhaltungsliteratur/Erzählung

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron