Nichts ist so, wie es auf den Blick scheint.
Tracy Pringle, 20 Jahre, wohnt bei ihren Eltern in einem trostlosen und baufälligen 23geschossigen Wohnhaus in einem Londoner Vorort. Sie ist Kassiererin in einem Supermarkt und Tagträumerin. Tief in ihre Traumwelt versunken, reagiert sie bei einem offensichtlichen Diebstahl nicht und verliert infolge dessen ihren Job. Sie bewirbt sich in dem vegetarischen Restaurant „Persischer Garten“ um die Stelle einer Kellnerin. Saaman Sahar, der Inhaber, aus Teheran stammend, Sohn einer Metzgerdynastie, Moslem, Oxford-Absolvent und Mitglied eines anglikanischen Kirchenchores, ist zunächst nicht interessiert. Aber Tracy kämpft und bekommt die Stelle auf Probe. Sie setzt sich intensiv mit der persischen Kultur auseinander, Saaman beantwortet ihr die Fragen so gut er kann, aber schon bald weiß Tracy mehr als er. Schnell freundet sich Tracy mit seinen beiden Ehefrauen an. Firouzeh ist die Witwe seines Bruders, es war für Sam, wie er sich in England nennt, eine Ehrensache, sie zur Ehefrau zu nehmen und ihren Kindern ein Heim zu geben. Yvette ist Französin und auch sie hat er nicht ohne Überlegung geheiratet. Tracy ist vom Leben der Sahar’s begeistert, sie kommt ihrem Chef langsam näher, aus anfänglicher Freundschaft wird schnell Verliebtheit und so wird sie schließlich Ehefrau Nummer 3. Für Tracy’s Eltern ist das zuviel, sie können diesen englischen Harem nicht mit ihrem Weltbild vereinbaren und sind strikt gegen diese Beziehung. Und auch die englischen Behörden bekommen Informationen über diesen ungewöhnlichen Fall von Polygamie und werden aktiv.
"Englischer Harem“ ist eine Liebesgeschichte, eine Tragödie, ein Drama, eine Komödie, ein Gesellschaftsroman und eine Familiengeschichte, oder besser gesagt, von jedem etwas. Anthony McCarten betrachtet in seinem Roman die allgemein bekannten Vorurteile Einheimischer gegenüber Migranten und fremden Kulturen – und umgekehrt. Er scheut sich nicht, die gängigen Klischees aufzugreifen und ad absurdum zu führen. Manche Stellen in dem Buch fand ich skurril und überzogen. Als künstlerisches Mittel ist dies aber durchaus geeignet, den Leser nachdenklich zu stimmen, ihm die Augen zu öffnen und ihn in den vorgehaltenen Spiegel schauen zu lassen. Auch ich stellte mir schon mal die Frage, wie ich als Mutter von Tracy reagiert hätte.
Die gegenseitigen Vorurteile und die sich daraus ergebenden Missverständnisse hat der Autor auf sehr nachvollziehbare, warmherzige und intelligente Art und Weise beschrieben. Nie hat er verurteilt, nie den moralischen Zeigefinger erhoben. Er hat Situationen beschrieben und dem Leser die Wertung überlassen. In kürzester Zeit habe ich dieses Buch gelesen. Es hat mich beeindruckt und es hat mich berührt, aber es hat mich auch schmunzeln lassen. Dieses Buch mochte ich von Beginn an sehr gern und das Ende war eine Klasse für sich.
Mein Fazit: „Englischer Harem“ ist weitaus mehr als eine simple Liebesgeschichte einer traumtänzerischen Supermarktkassiererin. Es zeigt unterhaltsam auf, wie wichtig Toleranz und Akzeptanz sind und welche Folgen Vorurteile und Missverständnisse nach sich ziehen können. Die Geschichte um Tracy Sahar wird sicher noch eine Weile in meinem Kopf nachwirken. Selten habe ich Anspruch und Unterhaltung auf so vergnügliche Art verknüpft gefunden.
Über den Autor (Quelle: Diogenes.ch)
Anthony McCarten, geboren 1961 in New Plymouth/Neuseeland. Mit 25 (mit Stephen Sinclair) weltweiter Theatererfolg ›Ladies Night‹, in der unautorisierten Filmadaption (›The Full Monty/Ganz oder gar nicht‹) eine der weltweit erfolgreichsten Filmkomödien. Seine zwei ersten Romane bei Diogenes, ›Superhero‹ (2007) und ›Englischer Harem‹ (2008), waren beide große Kritiker- und Publikumserfolge.
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