Krümels-Bücherwelt ...

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Mercier, Pascal - Nachtzug nach Lissabon




Mercier, Pascal - Nachtzug nach Lissabon

Beitragvon Krümel » 31.01.2007, 12:25

Nachtzug nach Lissabon von Pascal Mercier

Der 57 jährige Gregorius, Lateinlehrer eines Berner Gymnasiums, lässt nach einer flüchtigen Begegnung mit einer Frau, sowie einem Buch von Amadeu de Prado, alles stehen und liegen, und begibt sich mit dem Nachtzug nach Lissabon. Sein bisheriges wohlgeordnetes Leben hat sein Interesse verloren, irgendwie zieht es Gregorius in die Fremde, ein Traum, der seit seiner Jugend in ihm schlummert. Und so wird Lissabon für ihn auch ein Stück Isfahan. Auf der Suche nach sich selbst, begibt er sich gleichzeitig auch auf die Suche des ungewöhnlichen Poeten. So lernt er nach und nach die Gedanken des Autors kennen, und entdeckt dabei sein Inneres. Ferner lernt er außergewöhnliche Menschen kennen, die mit der Welt Prados in enger Beziehung standen, und schließt lockere bis tiefe Freundschaften mit ihnen; Freundschaft die sein bisheriges Leben ausgeschlossen hat, wo er nur hinter Büchern lebte.

Die Intention des Romans liegt ganz eindeutig auf das Nachdenken, Revue-Passieren des Lebens, und liefert dem Leser zahllose Gedankenansätze. Ich musste das Buch oft beiseite legen, denn meine Gedanken trieben mich in die Weite und Tiefe meines Selbst.

Die Rahmenhandlung wirkt etwas gestelzt, Zufälle über Zufälle ereignen sich, und haben oft mit der Realität wenig zu tun, doch das hat mich nicht gestört.
Den Schluss empfand ich ein wenig zu abrupt, er hinterlässt die große Frage: Hat er oder hat er nicht? Doch auch das ist dann ein weiterer Gedankengang, wie so viele Passagen im Buch, der bewusst unbeantwortet bleibt.

Ein Lesetipp für alle die gerne nachdenken, und hin und wieder gerne Anstöße aufnehmen.

Als Romancier veröffentlicht Peter Bieri seine Werke unter dem Pseudonym Pascal Mercier, wobei „Nachtzug nach Lissabon“ sein bekanntestes Buch ist. Peter Bieri wurde 1944 in Bern geboren und arbeitet heute als Philosoph mit den Schwerpunkten: phil. Psychologie, Erkenntnistheorie und Moralphilosophie an der Freien Universität Berlin. Sein meist verkauftes Werk als Philosoph „Das Handwerk der Freiheit“ steht schon auf meiner Wunschliste, da es ohne Fachchinesisch, eben für den Laien gut verständlich geschrieben sein soll.

:stern: :stern: :stern: :stern:

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von Anzeige » 31.01.2007, 12:25

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Re: Mercier, Pascal - Nachtzug nach Lissabon

Beitragvon Voltaire » 31.01.2007, 12:44

Krümel hat geschrieben:Die Rahmenhandlung wirkt etwas gestelzt, Zufälle über Zufälle ereignen sich, und haben oft mit der Realität wenig zu tun, doch das hat mich nicht gestört.


Tolle Rezi, danke!
Gibt es wirklich Zufälle? Kann es nicht soetwas wie Fügung sein? Ich habe diese Frage noch nicht endgültig für mich beantworten können. Dieses Buch interessiert mich sehr und ich werde es dann wohl in den nächsten Tagen kaufen.
Voltaire
 

Re: Mercier, Pascal - Nachtzug nach Lissabon

Beitragvon Krümel » 31.01.2007, 12:51

Voltaire hat geschrieben:Tolle Rezi, danke!
Gibt es wirklich Zufälle? Kann es nicht so etwas wie Fügung sein? Ich habe diese Frage noch nicht endgültig für mich beantworten können. Dieses Buch interessiert mich sehr und ich werde es dann wohl in den nächsten Tagen kaufen.


Danke Jan!
Ich persönlich glaube an das Schicksal, dass der Weg, den man begeht schon vorgezeichnet ist. Ich habe auch keine Probleme damit, wenn man mir dann entgegnet, dass ich keine freie Entscheidungsmacht hätte. Doch, eigentlich wohl! Ich lege mein Leben, bevor ich lebe, fest ... Weites Feld :wink:

Aber ein Buch ist ein Buch, es handelt sich nicht um ein realistisches Leben, sondern wurde bewusst erdacht. Manchmal konstruiert der Autor ein wenig zu offensichtlich, damit alles passt.
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Beitragvon wolves » 01.02.2007, 14:08

Sehr schöne Rezension Krümel! Ich musste gerade nachschauen wann unsere LR bei literaturschock ist. Ich muss noch 16 Tage warten bis ich endlich mit dem Buch anfangen kann. Das es etwas konstruiert ist, stört mich weniger. Und Bücher die mich zum nachdenken bringen, liebe ich.

Ich glaube ja auch eher an Fügung im Leben. Bis jetzt hat alles (auch das negative) irgendwie seinen Sinn gehabt und sich zusammengefügt. Ich kann da nicht immer nur an Zufall glauben.
Liebe Grüße
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Beitragvon GinFizz » 16.02.2008, 22:03

Eines der Bücher, die mich nicht mehr loslassen. Es hat mich förmlich in die Geschichte hineingesaugt und von der ersten bis zur letzten Zeile gefesselt.

Sich selbst finden, in dem man Stück für Stück die Lebensgeschichte eines anderen zusammensetzt, sich seinen Ängsten stellen, obwohl man am Liebsten davor weglaufen möchte, sich die Frage zu stellen, was passiert wäre, wenn der Zug des Lebens an einer Weiche in eine andere Richtung gefahren wäre...

Es fordert zum Nachdenken heraus, zum sich Auseinandersetzen mit seinen Gedanken. Wenn man nicht bereit ist, sich darauf einzulassen, dann erschließt es sich einem nicht. Absolut lesenswert. Am Besten mehrmals
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Beitragvon Pippilotta » 17.02.2008, 09:05

Ich habe das Buch vor längerer Zeit gelesen und wundere mich jetzt, dass ich meine Gedanken hier gar nicht hinterlassen habe ....

Es war mein erster Mercier und ich war sehr angetan von der sprachlichen Ausdrucksform und den dahinterstehenden Gedanken. Die Rahmenerzählung kam mir doch einigermaßen konstruiert vor, auch der Klappentext führt meiner Meinung nach in die Irre. Es geht hier nur indirekt um Gregorius und dessen Ausbrechen aus dem Alltag. Vielmehr geht es um die traurige Figur des Amadeu, den Sensiblen, den Zerrissenen, der es allen Recht machen will und dabei selber auf der Strecke bleibt. Seine Niederschriften, seine Gedanken über Gott, über die Welt, über Tugenden und Untugenden, über geheime Wünsche, Pläne bilden für mich den Schwerpunkt dieses Buches.

Es geht aber auch darum, sein eigenes Leben nie zum "Alltag" werden zu lassen, ständig Neues zu entdecken und sich an Kleinigkeiten zu freuen. Das klingt jetzt sehr abgedroschen und ausgelutscht, ich weiß, aber das Buch vermittelte mir genau dieses Gefühl, und zwar auf sehr elegante, beeindruckende Weise!

:stern: :stern: :stern: ( :stern: )

Mittlerweile habe ich noch "Lea" und "Der Klavierstimmer" gelesen und meiner Meinung nach ist "Nachtzug nach Lissabon" mit Abstand das beste seiner (von mir gelesenen) Bücher.
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon Nerolaan » 31.03.2008, 16:22

So, gestern habe ich das Buch beendet und unterm Strich bin ich doch enttäuscht, wenn ich bedenke, wie sehr 'alle' davon schwärmen.

Die Charaktere bleiben für mich blaß; ohne Ecken und Kanten und damit meine ich nicht kleine Charakterschwächen, sondern eher Konturen. Bis zum Schluss haben sich mir die Personen als solche nicht offentbart. Jeder Charakter verkörpert zwar einen besonderen Charakterzug (Adrianna: die Dankbare/ Prado: der Melancholiker.....), doch selbst dies konnte es für mich nicht retten.

Die Geschichte selbst hat für mich weder Hand noch Fuß. Ich empfand sie stellenweise als einschläfernd. Ich mag zwar ruhige Bücher - und dies ist ein ruhiges Buch - aber es wimmelt stellenweise nur so vor Wiederholungen und ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, auf der Stelle zu treten und keinen Deut weiter zu kommen. Eine Straffung hätte dem Buch vielleicht gut getan.

Ja, Mercier lässt mich sehr zwiegespalten zurück. Er hat eine unglaubliche Sprachgewalt, die mir sehr gut gefallen hat und auch die Grundidee des Buches zeugt für mich von großem Einfallsreichtum, aber die Umsetzung hat mich nicht begeistern können.
Ich weiß nicht, ob ich nochmal was von Mercier lesen soll. Zum jetztigen Zeitpunkt wohl eher nicht.

:stern: :stern:
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Beitragvon chip » 31.03.2008, 16:28

Hallo Nerolaan,
das ist schade, denn für mich war es eine bereichernde Lektüre. Im LR-Thread im Literaturschock waren manche ebenso enttäuscht. Damals schrieb ich:
"Gregorius und Co. wurden nur erfunden und "ausgenutzt", um Merciers Philosophie zu transportieren. Ich denke, ihm lag mehr daran, uns seine Gedanken zu vermitteln, als den Leser mit seinen Figuren zu unterhalten.
Mich hat es nicht im geringsten gestört, nicht zu wissen, was aus ihnen geworden ist. Es war ja schnell ersichtlich, dass Gregorius bloß als Hintergrundfigur gedacht war."

Es kommt wohl darauf an, was von einem Roman generell erwartet wird. Und schließlich die Frage, ob dieses hier als "typischer Roman" einzuordnen ist.

Gruß,
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Beitragvon Nerolaan » 31.03.2008, 17:08

chip hat geschrieben:"Gregorius und Co. wurden nur erfunden und "ausgenutzt", um Merciers Philosophie zu transportieren. Ich denke, ihm lag mehr daran, uns seine Gedanken zu vermitteln, als den Leser mit seinen Figuren zu unterhalten."


Da stimme ich dir zu! Aber selbst diese Philosophie war für mich nicht im geringsten Interessant. Denn diese Gedanken über "das Mensch sein" hatte ich stellenweise schon selbst. Mercier verpackt es nur wunderbar, was dann natürlich interessant war zu lesen. Einige Gedankengänge waren mir aber auch neu.
Und dennoch: für mich ist leider nichts bei herausgesprungen.
Schade, wirklich schade! Hatte mich ja schon so auf das Buch gefreut. :-(
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Beitragvon oczitania » 03.04.2008, 19:33

Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Zum einen von der Sprache und den Beschreibungen her, andererseits die Personen.
Erst hatte ich das Gefühl, die Hauptperson sei Gregorius. Und dann war er einfach das Mittel zum Zweck, um den Lebensweg der eigentlichen Hauptfigur aufzuzeigen.
Mich haben die Gedankengänge, die Philosophie des Buches gefallen. Vielleicht habe ich da zu viel hinein interpretiert, aber mir ging es so, dass ich mit meinen Gedanken öfter mal abgeschweift bin. Nutze ich meine Tage, meine Zeit? Wo stehe ich, habe ich Weichen übersehen? Schliesslich ist der direkte Weg immer ziemlich kurvig...
oczitania
 



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