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Schmitt, Eric-Emmanuel - Adolf H. Zwei Leben




Schmitt, Eric-Emmanuel - Adolf H. Zwei Leben

Beitragvon Salome » 02.03.2008, 11:49

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Was wäre passiert hätte die Wiener Kunstakademie über Hitlers Aufnahme damals anders entschieden ?

Dieses Gedankenexperiment ist die Basis von Schmitts Roman Adolf H.
“Adolf H., bestanden”. Er wird Student an der Kunstakademie, arbeitet an sich, erfährt Anerkennung, macht eine Psychotherapie und lernt die Liebe kennen. So gewappnet kann er auch das Leid und die schweren Prüfungen seines Lebens unbeschadet überstehen, bleibt ein normaler Mensch.
Parallel dazu erzählt Schmitt die reale Geschichte Hitlers, seinen Werdegang, literarisch aufgearbeitet. Natürlich nimmt er sich auch hier einige künstlerische Freiheiten, bleibt aber doch im Rahmen relativ nahe bei den Fakten. Die beiden Handlungsstränge wechseln sich stets ab, so das Hitler und der fiktive Adolf H., die natürlich anfangs noch sehr ähnlich sind, Stück für Stück auseinanderdriften und in völlig unterschiedliche Richtungen gehen. Das macht den Spannungsbogen des Buchs aus und diese Entwicklungen wurden auch von Schmitt sehr gekonnt in Szene gesetzt. Besonders hervorzuheben die Beschreibungen des ersten Weltkriegs aus beiden Perspektiven, die doch sehr nahe gehen. Hier entwickelt sich Hitler zu dem Monster Hitler. Auch Adolf H. kehrt nicht als der selbe Mensch von der Front zurück…

An der Person Hitlers wurde nichts beschönigt, oder verharmlost, wobei ich mir sicher bin, dass dies ein Punkt ist an dem sich die Geister scheiden werden. Es ist ja immer quasi ein Tabubruch von Hitler als Menschen zu sprechen, was er aber nun mal einfach war. Er symbolisiert allgemein das Böse, das in jedem Menschen wohnt. Natürlich möchte man diese Seite des Menschen lieber als einmalige Perversion, als Unfall der Natur darstellen, der nicht mehr wiederholbar ist und weist das Monster weit von sich. Doch das jeder Mensch unter gewissen Umständen ein Hitler hätte werden können, das wollte Schmitt vermitteln. Und: nur vor dem was man verstanden hat, vor dem ist man wirklich gefeit.

Mit Adolf H. wollte Schmitt quasi das Gegenstück zum Evangelium nach Pilatus schreiben. Ein Buch über das Böse. Er hat sich beim Schreiben sehr glaubhaft in die Psyche Hitlers hineinversetzt auch wenn er ihn nach eigenen Angaben nach einer gewissen Zeit kaum noch ertragen konnte und dessen Tod herbeisehnte. Mit Adolf H. jedoch rührt er an die Menschlichkeit und einige starke Momente des Buchs lassen einen schon sehr emotional werden.
Für mich eine tolle Idee und eine gelungene Umsetzung. Vielleicht mit kleineren Mängeln im Aufbau der Story, die Schmitt aber mit vielen wertvollen Gedanken wieder wett macht.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

ISBN: 3250601071
Übersetzt von Klaus Laabs
Ammann Verlag
Februar 2008 - gebunden - 480 Seiten
Salome
 

von Anzeige » 02.03.2008, 11:49

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Beitragvon Pippilotta » 22.03.2008, 19:06

Das Buch bietet in der Tat sehr großes Diskussionspotential!

Die Idee der Story finde ich sehr gut - "was wäre wenn ...." ist ein guter Aufhänger, der neugierig macht und den eigenen Gedanken natürlich auch freien Lauf lässt. Und die These bezieht sich nicht nur auf die Person des Adolf Hitler, sondern auf das gesamte 20. Jahrhundert.

Hitlers "wahre" Geschichte fand ich sehr beeindruckend, sehr gut erzählt. Hitler wird nicht NUR als grausam und böse beschrieben, Hitler "menschelt" in der einen oder anderen Form, und v.a. ist Hitler zutiefst einsam und voller Komplexe. Verharmlosend finde ich das nicht, diesen Teil (jedes 2. Kapitel) habe ich mit großem Interesse und großer Spannung gelesen.

Anders erging es mir leider mit der Geschichte des Adolf H. Dieser ist "normal", ein bedeutender Künstler, ein Freund der Juden (er heiratet sogar eine Jüdin), hat 2 Kinder, muss Schicksalsschläge einstecken doch geht seinen Weg.

Ich zweifle zutiefst daran, dass sich die Geschichte auch nur annähernd so zutragen hätte können. Schmitt suggeriert mir indirekt, dass Hitler nur aufgrund der "widrigen Umstände (sprich: böser Vater, zu früh verstorbene Mutter, Misserfolg in der Kunstakademie, sexuelle Komplexe, usw) zu dem geworden ist, was er wurde. Dem muss ich doch zutiefst widersprechen, denn es bedeutet einen Freibrief für alle, die "Pech" im Leben hatten.

Zudem fand ich die Story des Künstlers Adolf H. sehr langatmig, uninteressant, farblos. Etwas gekürzt, etwas prägnanter hätte dem Buch meiner Meinung nach gut getan. Alleine die wirklich gut geschriebenen und sehr gehaltvollen letzten Kapitel (rund um Heinrich, Israel etc.) werten diese Geschichte auf.

Dass "in jedem von uns" ein kleiner Hitler steckt, diese These vermittelt Schmitt recht glaubwürdig, ebenso interessant fand ich die These vom altruistischen und vom egozentrischen Diktator.

Sehr interessant zu lesen fand ich das angehängte "Arbeitstagebuch", in dem E.E.Schmitt seine Gedanken, Motivationen rund um das Buch niederschrieb, auch wenn ich passagenweise den Eindruck hatte, Eric Emmanuel Schmitt hört und sieht sich am liebsten selber und entwickelt sich langsam zu einem Selbstdarsteller à la Coelho. Aber das ist mein persönlicher Eindruck.

Meine Beurteilung schwankte während des Lesens zwischen :stern: :stern: (für den langweiligen/-atmigen Mittelteil in Sachen Adolf H.) und :stern: :stern: :stern: :stern: :stern: für den absolut gelungenen Schluss.

Macht insgesamt :stern: :stern: :stern: / :stern: :stern: :stern: :stern:
Herzliche Grüße
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Beitragvon Salome » 23.03.2008, 08:20

Ach Pippi, momentan kommen wir in Punkto Bücher wohl gar nicht zusammen... :wink:

Pippilotta hat geschrieben:Ich zweifle zutiefst daran, dass sich die Geschichte auch nur annähernd so zutragen hätte können. Schmitt suggeriert mir indirekt, dass Hitler nur aufgrund der "widrigen Umstände (sprich: böser Vater, zu früh verstorbene Mutter, Misserfolg in der Kunstakademie, sexuelle Komplexe, usw) zu dem geworden ist, was er wurde. Dem muss ich doch zutiefst widersprechen, denn es bedeutet einen Freibrief für alle, die "Pech" im Leben hatten.

Das finde ich überhaupt nicht. Ich sehe den Werdegang des Adolf H. als Erklärungsversuch, nicht als Rechtfertigung oder gar Absolution für jeden Irren. Warum ist echte Hitler denn in Deinen Augen geworden was er war ? Wenn es denn nicht die Umstände, Komplexe etc sind, die einen Menschen prägen, was ist es dann?
Mir war Adolf H. sehr nah, besonders den Abschiedsbrief an seine Freunde fand ich sehr schön und hab sogar ein paar Tränchen vergossen. Der Krieg aus Adolf H. s Sicht war ebenfalls klasse.
Zugegeben sind allerdings ein paar Längen danach in der Story bei Adolf H.
Alleine die wirklich gut geschriebenen und sehr gehaltvollen letzten Kapitel (rund um Heinrich, Israel etc.) werten diese Geschichte auf.


Auch die waren toll! Stimmt!

Sehr interessant zu lesen fand ich das angehängte "Arbeitstagebuch", in dem E.E.Schmitt seine Gedanken, Motivationen rund um das Buch niederschrieb, auch wenn ich passagenweise den Eindruck hatte, Eric Emmanuel Schmitt hört und sieht sich am liebsten selber und entwickelt sich langsam zu einem Selbstdarsteller à la Coelho. Aber das ist mein persönlicher Eindruck.


Hui, das tut jetzt aber ein bisschen weh, was erwartest Du denn von einem persönlichen Tagebuch anderes als Selbstdarstellung? :grübel
Der Anhang war für mich eine tolle Ergänzung und hat viele Fragen, die nach der Lektüre offen waren beantwortet.
Salome
 

Beitragvon Pippilotta » 23.03.2008, 09:24

Salome hat geschrieben:Ach Pippi, momentan kommen wir in Punkto Bücher wohl gar nicht zusammen... :wink:


so sehe ich das nicht, ich habe das Buch hier sehr gerne gelesen .... wenn ich auch nicht mit mit allem konform gehe ....

Ich zweifle zutiefst daran, dass sich die Geschichte auch nur annähernd so zutragen hätte können. Schmitt suggeriert mir indirekt, dass Hitler nur aufgrund der "widrigen Umstände (sprich: böser Vater, zu früh verstorbene Mutter, Misserfolg in der Kunstakademie, sexuelle Komplexe, usw) zu dem geworden ist, was er wurde. Dem muss ich doch zutiefst widersprechen, denn es bedeutet einen Freibrief für alle, die "Pech" im Leben hatten.

Das finde ich überhaupt nicht. Ich sehe den Werdegang des Adolf H. als Erklärungsversuch, nicht als Rechtfertigung oder gar Absolution für jeden Irren. Warum ist echte Hitler denn in Deinen Augen geworden was er war ? Wenn es denn nicht die Umstände, Komplexe etc sind, die einen Menschen prägen, was ist es dann?


Ich glaube schon daran, dass gewisse Eigenschaften (oder Tendenzen) als Charaktereigenschaft auch angeboren (bzw. vererbt) sind (z.B. der Hang zum Jähzorn, Ungeduld, Extro- bzw. Introvertiertheit, Schüchternheit, usw). NATÜRLICH machen dann die Umstände aus, wie sehr diese Eigenschaften ausgeprägt werden und zum Tragen kommen. Doch das zwei SO verschiedene Charaktere wie in diesem Buch dabei herauskommen, das kann ich nicht so hinnehmen.


Sehr interessant zu lesen fand ich das angehängte "Arbeitstagebuch", in dem E.E.Schmitt seine Gedanken, Motivationen rund um das Buch niederschrieb, auch wenn ich passagenweise den Eindruck hatte, Eric Emmanuel Schmitt hört und sieht sich am liebsten selber und entwickelt sich langsam zu einem Selbstdarsteller à la Coelho. Aber das ist mein persönlicher Eindruck.


Hui, das tut jetzt aber ein bisschen weh, was erwartest Du denn von einem persönlichen Tagebuch anderes als Selbstdarstellung? :grübel


Dasselbige hat er ja auch schon beim "Evangelium nach Pilatus" gemacht. Dort fand ich es sehr treffend, sehr passend und sehr interessant. Ich kann mich jetzt nicht mehr genau erinnern, was dort anders war (ich hatte das Buch ausgeliehen), doch diese "Selbstdarstellung" und auch Selbstbeweihräucherung) empfand ich nicht so wie bei Adolf H.

Der Anhang war für mich eine tolle Ergänzung und hat viele Fragen, die nach der Lektüre offen waren beantwortet.


Das stimmt. V.a. die Frage des Antisemitismus bei Hitler fand ich sehr nachvollziehbar erklärt (das hatte ich so gar nicht gewusst).

Insgesamt hat mir das Buch sehr gut gefallen. Der Sterne-Abzug bezieht sich eigentlich nur auf die Story des Künstlers Adolf H. (mitsamt den Längen), ansonsten hat mir das Buch doch das "Phänomen" Hitler ein wenig näher gebracht.
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon GinFizz » 13.04.2008, 15:44

Eric Emmanuel Schmitt erzählt in seinem Buch zwei Geschichten. Die Geschichte von Hitler, seinem erfolglosen Werdegang als Künstler, seiner Zeit auf den Straßen Wiens (zu der er noch kein Antisemit und Rassist war), seinen Jahren an der Front des ersten Weltkrieges, in der erste Veränderungen in seinem Charakter bemerkbar wurden, bis hin zu seiner Wandlung zu dem "Monster", das mit seinem Wahnsinn Europa in den Krieg gestürzt hat.
Dem gegenüber stellt Eric Emmanuel Schmitt die fiktive Geschichte von Adolf H., der die Prüfung an der Kunstakademie bestanden hat, einige Jahre in Paris verbringt, der die Frauen liebt, ein erfülltes Sexualleben hat, eine Familie gründet. Wir erleben, wie ein Europa ohne den zweiten Weltkrieg geworden wäre.

Die beiden Geschichten wechseln sich absatzweise miteinander ab. Manchmal erkennbar, manchmal nicht erkennbar, gerade im ersten Teil ist es schwierig, die beiden Lebensläufe auseinander zu halten. Dies ändert sich erst mit der Schilderung des ersten Weltkrieges, den beide Figuren unterschiedlich erleben.

Eric Emmanuel Schmitt versucht nicht, Verständnis für Hitler zu wecken. Er sucht nach Gründen, warum Adolf Hitler zum Monster wurde. Sein Narzissmus, der schon in der Jugend ausgeprägt war, sein Glaube, ein verkanntes Genie zu sein. Interessant fand ich die Theorie, dass Hilter der Gedanke, er müsse Deutschland retten, durch eine Hypnose eingegeben worden wurde, die eigentlich nur den Zweck hatte, seine vorübergehende Blindheit zu heilen.

http://www.3sat.de/kulturzeit/lesezeit/64833/index.html

Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass diese Hypnose etwas ausgelöst hat, was nicht sowieso schon vorhanden war. Hier weiche ich von Schmitts Therie ab, der glaubt, dass aus jedem von uns durch bestimmte Umstände und Erlebnisse ein Adolf Hitler werden könnte. Dieser Meinung bin ich nicht. ich glaube, dass gewisse Anlagen dafür in einem Menschen vorhanden sein müssen (ich hoffe es zumindest).

Alles in allem ein interessantes Buch, das zum Nachdenken anregt. Der Schreibstil ist flüssig und die kurzen Abschnitte machen es leicht, innezuhalten und seinen Gedanken nachzugehen.

Zum Fan von Eric Emmanuel Schmitt hat es mich aber nicht gemacht. Es war interessant, aber nicht mitreißend.
GinFizz
 

Beitragvon oczitania » 11.05.2008, 13:50

Das Buch war interessant zu lesen und zeigte eine andere Sicht der Dinge auf.
Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass Adolf H. zum Künstler geworden wäre. Die fiktive Geschichte zeigt ihn ziemlich menschlich, auch mit weniger angenehmen Charaktereigenschaften. Vielleicht wollte ihn Schmitt bewusst so überspitzt darstellen. Sympathisch wurde er mir auch in der Künstlerversion nicht.

Die geschichtliche, historische Version hat mir einige neue Blickpunkte gezeigt, Hintergründe, die ich noch nicht so genau kannte. Gut, dass im Internet (wikipedia etc.) so viel darüber zu finden ist. Wir haben in der Schule eindeutig zu lange die Ritterzeit behandelt und die Zeit der Weltkriege war - verständlicherweise? - mehr "Schweiz-lastig".
So oder so, es zeigte mir einen bösen Mann, den irgendwer zu lange gewähren liess. Da passt das Sprichwort, dass der Kluge so lange nachgibt, bis er selber der Dumme ist. Mir kommt vor, bei Hitler sind verschiedene Punkte zusammengetroffen, die ihn im richtigen Moment am richtigen Ort sein liessen. Da waren die Folgen des ersten Weltkrieges, diese Schmach, die Wirtschaftskrise, die Ängste und Zweifel der Bevölkerung... Dennoch erschreckend, wie viele sich einwicklen liessen oder zu Mitläufern wurden. Was muss da für eine Angst geherrscht haben, Denunziantentum etc.
Beschrieben ist er auch als ein Mensch, der unter Selbstüberschätzung, Selbstherrlichkeit, Grössenwahn und Unversöhnlichkeit leidet und sich selbst eigentlich gar nicht mag. Trotz der "menschlichen" Darstellung mochte ich ihn nicht als Mensch mit "normalen" Gefühlen wahrnehmen.

Eine gute Sequenz fand ich die beiden Beschreibungen in der Akademie. Der eine Strang, wo Hitler durchfällt - und er mir beinahe leid tut, so gut ist die Szene beschrieben.
Dann der zweite Strang, wo er durchkommt und beim Hinausgehen einen jungen verzweifelten Mann stehen sieht, der durchgefallen ist. Als ob er sich selber gesehen hätte...

Schlimm finde ich, dass einige Leute offenbar daraus nicht besonders viel gelernt haben. Gut, dass es (noch) Menschen gibt, die ständig Gegensteuer geben und mahnen.
oczitania
 



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