Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Brett, Lily - Einfach so




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Brett, Lily - Einfach so

Beitragvon schnecke » 03.05.2007, 19:35

Inhalt:
"Einfach so" erzählt die Geschichte einer Frau, die in New York zuhause ist. Sie schreibt Nachrufe für eine Zeitung und lebt in einem eleganten Loft. Ihr Ehemann, mit dem sie glücklich ist, spielt eine Rolle in der New Yorker Kunstszene, zu der sie eine ironische Distanz pflegt.
Ihre Geschichte - sie ist die Tochter jüdischer Eltern, die den Holocaust überlebt haben - ist immer präsent, so wie auch ihr Vater, zu dem sie eine liebevolle, wenn auch problematische Beziehung hat.
Gegenwart und Vergangenheit sind für sie untrennbar verbunden, und ihr Beruf - sie besucht häufig Begräbnisse zumeist völlig fremder Menschen - verstärkt noch das Gefühl der Vergänglichkeit, das sie nie verläßt, das Gefühl der Zerbrechlichkeit des Glücks.

Die Autorin:
Lily Brett hat einiges mit ihrer Protagonistin gemeinsam: 1946 in einem deutschen Durchgangslager geboren, übersiedelte sie mit ihren Eltern zwei Jahre später nach Australien. Sie begann ihre Karriere als Journalistin bei einem Rockmagazin und lebt heute mit Mann und drei Kindern in New York.

Persönliche Eindrücke:

Esther, die Hauptfigur, pflegt liebevoll ihre Neurosen und Schuldgefühle. Im Gegensatz zu ihren Eltern, die in den Konzertationslagern jeglichen Glauben verloren, versucht sie, jüdische Tradition aufrechtzuerhalten und quält sich mit Entscheidungen zwischen echter koscherer und gekaufter Instant - Hühnersuppe. Als Australierin in New York fühlt sie sich außerdem immer unsicher und fremd und hält sorgsam Kontakt mit den wenigen australischen Freundinnen, die ihr eigentlich fremd sind.
Die Geschichte plätschert dahin, unterbrochen von grausamen Details aus den Konzentrationslagern, so sprunghaft wie Esthers Gedanken ist auch der Erzählstil. Weitere Würze sind ausführliche Betrachtungen über das Verdauungssytem und seine Ausscheidungen - für mich teilweise schon zuviel. Zumal ich der Hauptperson das gar so Verklemmte dann nicht mehr abnehme.
Spannend ist aber die Geschichte ihres Vaters, der nach dem Tod der Mutter auf seine alten Tage noch ein neues Leben in Amerika beginnt. Hier hätte ich mir gewünscht, dass das Buch immer weitererzählt, die einzelnen Schicksale nehmen den Leser gefangen.

Anscheinend muss man dazu nur weitere Bücher von Lily Brett lesen, was ich mit kleinen Einschränkungen gerne tun werde.

Meine Wertung: :stern: :stern: :stern: :stern:

Bild
schnecke
 

von Anzeige » 03.05.2007, 19:35

Anzeige
 

Beitragvon Pippilotta » 03.05.2007, 19:54

Es ist schon etwas länger her, dass ich dieses Buch gelesen habe.

Mich nervte die Protagonistin ganz gewaltig. Ich empfand sie als egoistisch und ihre Beschreibungen als "Gejammere" (zudem auf hohem Niveau). Sie hatte es ja ganz gut erwischt, einen liebenden Ehemann, eine liebe Familie, also eigentlich nicht wirklich viel zu Jammern.
Die Geschichte ihres Vaters (der durchaus mehr Grund zum "Jammern" hat) interessierte mich mehr, doch mit Esther konnte ich eigentlich nichts anfangen.

:stern: :stern: ( :stern: )
Herzliche Grüße
Pippilotta


T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Life is what happens to you while you are busy making other plans (Henry Miller)
Benutzeravatar
Pippilotta
Superkrümel
Superkrümel
 
Beiträge: 4894
Registriert: 19.04.2006, 16:52
Wohnort: ... im Himmel ...

Beitragvon schnecke » 03.05.2007, 19:58

Danke fürs Einfügen des Links mit Bild!
Ich habe wirklich die Beschreibung hier im Forum gelesen, und ich hab sie genauso wirklich nicht verstanden. :oops:
schnecke
 

Beitragvon Siebenstein » 03.05.2007, 20:33

Pippilotta hat geschrieben: mit Esther konnte ich eigentlich nichts anfangen.



Ich schon. :mrgreen:

Bei mir liegt die Lektüre auch schon mindestens drei oder vier Jahre zurück, aber ich weiß noch genau, dass ich es damals sehr gern gelesen habe. Mir fällt auf Anhieb kein Buch ein, dass mich einerseits so zum Lachen bringen konnte und andererseits so berührt hat. Sie jammert auf hohem Niveau, da hast du schon irgendwie recht @Pippi, obwohl jammern für meine Begriffe eigentlich nicht das richtige Wort ist. Ich glaube, niemand von uns kann sich vorstellen, wie es ist, als Kind von Holocaust-Überlebenden aufzuwachsen. Ich finde, sie hat sehr eindrücklich beschreiben können, welche zentnerschweren Gewichte sie da ihr Leben lang im Gepäck hatte.

Lily Bretts Art zu schreiben wird ja oft mit Woddy Allens Art Filme zu machen verglichen, und ich denke, da ist was dran. Beide haben, indem sie sich über sich selbst lustig machen, Mechanismen gefunden, um mit dem Unerträglichen in ihrem Leben besser fertig zu werden. Das kann man mögen, muss man aber nicht. Ich bin jedenfalls bei Lily Brett immer sehr zurückhaltend, was das Weiterempfehlen angeht...

Liebe Grüße
Siebenstein :wink:
BildAstrid Rosenfeld - Elsa ungeheuer
Benutzeravatar
Siebenstein
Krümel
Krümel
 
Beiträge: 640
Registriert: 06.11.2006, 09:02
Wohnort: Berlin

Beitragvon Pippilotta » 03.05.2007, 20:55

Woody Allen mag ich ja sehr .... aber dass sich Esther über sich selber lustig macht, das habe ich nicht so empfunden. Und irgendwie fehlte mir ein bisschen das "Unerträgliche" in ihrem Leben. Was sie als "unerträglich" emfpand, empfand ich als "Ausgeburt" ihres Egoismus. Oder liege ich da falsch (ich will mich da jetzt nicht auf Glatteis begeben...)
Herzliche Grüße
Pippilotta


T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Life is what happens to you while you are busy making other plans (Henry Miller)
Benutzeravatar
Pippilotta
Superkrümel
Superkrümel
 
Beiträge: 4894
Registriert: 19.04.2006, 16:52
Wohnort: ... im Himmel ...

Beitragvon Voltaire » 04.05.2007, 06:39

Pippilotta hat geschrieben: Und irgendwie fehlte mir ein bisschen das "Unerträgliche" in ihrem Leben. Was sie als "unerträglich" emfpand, empfand ich als "Ausgeburt" ihres Egoismus. Oder liege ich da falsch (ich will mich da jetzt nicht auf Glatteis begeben...)


Da kann ich dir nur beipflichten, ich habe das genauso empfunden! Esther ist für mich nichts weiter als eine nervige, mir auf den Keks gehende Trümmerlotte! :mrgreen:

Mag aber auch sein, dass die Autorin es vielleicht nicht geschafft hat, das "Unerträgliche" wirklich so rüberzubringen wie es vielleicht beabsichtigt war und Esther nun die Leidtragende in Bezug auf die Kritik ist. Aber man kann ein Buch halt nur so lesen wie es geschrieben wurde, und wenn die Autorin etwas aussagen will, dann soll sie es so aufschreiben.
Voltaire
 

Beitragvon Pippilotta » 04.05.2007, 07:38

Voltaire hat geschrieben:Da kann ich dir nur beipflichten, ich habe das genauso empfunden! Esther ist für mich nichts weiter als eine nervige, mir auf den Keks gehende Trümmerlotte! :mrgreen:


:shock: das ist eine klare Aussage! :wink:
Ich habe während des Buches Esthers Mann immer bewundert wie viel Geduld er für sie aufbringt, und eigentlich nur darauf gewartet, wann es ihm endlich reicht!

Es ist für mich ein Buch jener Art von "Holocaust-Bewältigungs-Literatur", die ich nicht so gerne lese. Die Schilderungen über den Holocaust kamen mir etwas "oberlehrerhaft" vor, und warum sollte Esther (der es ja eigentlich recht gut geht) ihr Leben nicht genießen? So schlimm die Erlebnisse ihres Vaters waren, aber steht es dafür, dass sie wie ein Schatten über Esthers Leben hängen, dass sie deshalb nicht unbeschwerter Leben kann? Der Holocaust hat das Leben ihres Vaters zerstört, soll er auch ihr Leben zerstören?
Vergangenheitsbewältigung ja, aber nicht so!

Aber wie sich jetzt herausstellt, hat das Buch hat doch mehr Eindruck hinterlassen, als ich erahnt hätte! Und wir haben aufgrund diese Diskussion jetzt sicherlich einige neugierig gemacht .... :mrgreen:
Herzliche Grüße
Pippilotta


T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Life is what happens to you while you are busy making other plans (Henry Miller)
Benutzeravatar
Pippilotta
Superkrümel
Superkrümel
 
Beiträge: 4894
Registriert: 19.04.2006, 16:52
Wohnort: ... im Himmel ...

Beitragvon schnecke » 04.05.2007, 08:43

Ich sehe das Buch eigentlich nicht als Bewältigungsliteratur. Esther verkörpert für mich eher jenen (durchaus dem Wohlstand entsprungenen) Weltschmerz, dem jeder sensible Mensch anheimfallen kann, nämlich sich schuldig zu fühlen dafür, dass es einem besser geht als anderen.
So habs ich gelesen.
Abgesehen davon, dass ich auch ihren Mann bewundert habe, wie der das aushält.

Heute, einen Tag später, klingt das Buch eher positiv nach.
Obwohl ich jetzt schon weiß, dass ich mich beim nächsten auch ein klein wenig ärgern werde. :wink:
schnecke
 

Beitragvon Siebenstein » 04.05.2007, 09:09

Ich kann mich nur wiederholen, ich konnte das Unerträgliche in Esthers Leben gut nachempfinden, wobei ich einräumen muss, dass ich noch ein anderes Buch der Autorin ("Zu viele Männer") gelesen habe und meine Eindrücke nach so langer Zeit nicht mehr eindeutig dem einen oder anderen Buch zuordnen kann.

Ich denke, dass es sehr wohl möglich ist, dass sich großes Leid, das den Eltern widerfahren ist, auf die Kinder überträgt. Selbst wenn zu Hause nicht offen über die grauenvollen Erlebnisse der Eltern gesprochen wird, meistens ist das den Eltern gar nicht möglich und solange die Kinder noch klein sind auch gar nicht angebracht, spürt ein Kind mit seinem feinen Antennen natürlich trotzdem, dass etwas nicht stimmt. Kinder neigen dazu, Schuld immer erst mal bei sich zu suchen, und gerade als Mädchen fühlt man sich dann schnell zuständig, sich um die Eltern zu kümmern, sie aufzuheitern und von ihrer Last zu befreien. Dass ein solches Unterfangen nicht nur zum Scheitern verurteilt ist, sondern vor allem tiefe Spuren in einer Kinderseele hinterlassen kann, kann sich sicher jeder vorstellen.

Liebe Grüße
Siebenstein :wink:
BildAstrid Rosenfeld - Elsa ungeheuer
Benutzeravatar
Siebenstein
Krümel
Krümel
 
Beiträge: 640
Registriert: 06.11.2006, 09:02
Wohnort: Berlin

Beitragvon wolves » 04.05.2007, 09:19

Eine sehr interessante Diskussion. Es ist unendlich lang her als ich das Buch gelesen habe. Ich habe gerade versucht mich zu erinnern. Es ist mir als eine streckenweise sehr niederdrückende Lektüre in Erinnerung geblieben. Ich tendiere zu Siebensteins Eindruck. Es muss da schon eine schwere Last auf den Schultern der Kinder liegen, die da von den Eltern weitergegeben wurden. Als könnte (als durfte) sie ihr Leben gar nicht mehr genießen. Weil gut hat sie es ja wirklich gehabt.
Ich denke wenn man dann noch tendenziel (wie Brett) dazu neigt alles etwas schwerer im Leben zu nehmen und Gläser grundsätzlich als halbleer anzusehen, hat man es nicht sehr leicht.
Ich würde mich mit einer Weiterempfehlung dieses Buches schwer tun.
Liebe Grüße
wolves


Benutzeravatar
wolves
Buchgenießerin
Buchgenießerin
 
Beiträge: 6413
Registriert: 07.11.2006, 14:51
Wohnort: Saarland

Beitragvon marilu » 05.05.2007, 08:41

Ich weiß noch, dass mich das Buch sehr beeindruckt hat. Aber Details? Hm... Kopf wie Sieb... Aber zum Glück habe ich im BT eine Rezension dazugeschrieben. Ich hole sie einfach mal hier rüber:

Lily Brett setzt sich in "Einfach so" mit ihrer persönlichen Familiengeschichte auseinander und lässt ihre Protagonistin Esther Zepler von ihrem ambivalenten Verhältnis zu ihrem Vater erzählen, ihrer Sehnsucht nach Ordnung und einem sinnvollen Leben. Sie schreibt Nachrufe auf bedeutende Persönlichkeiten, eine Tätigkeit, die es ihr zumindest theoretisch möglich macht, Ordnung zu schaffen und einem (anderen als ihrem) Leben klare Züge zu geben.

Ein zweiter wichtiger Aspekt ihres Lebens ist die Auseinandersetzung mit dem Holocaust, ein Thema, das von ihren Eltern, Überlebenden desselben, verdrängt wird. Esther versucht zu verstehen und stößt auf eine Mauer des Schweigens. Und so schwebt sie zwischen zwei Welten - der der jüdischen Traditionen und der des schnellen Lebens in der New Yorker Kunstszene. Bei einem Besuch ihres Vaters in New York kommt es zu einem akuten Aufeinanderprallen beider Welten.

"Einfach so" ist eine Geschichte über die Bewältigung des Alltags und die Selbstfindung einer Frau zwischen den Rollen als Mutter, Tochter, Ehefrau und Redakteurin. Und über die Zuversicht, das Leben trotz aller Widrigkeiten zu meistern.
Lily Bretts Schlüssel zu einem glücklichen Leben liegt im Vertrauen zu sich selbst und anderen Menschen.

Der Roman hat mich sehr beeindruckt! Er hat eine ironische und direkte Sprache, die trotzdem eine warmherzige Grundstimmung hervorbringt, die mich sofort eingefangen hat.


Dort ist auch die Frage nach dem "Jammern" aufgekommen. Meine Meinung dazu:

Ich habe die Motivation ihres Gejammers etwas anders in Erinnerung.

Esthers Vorwürfe haben ihren Ursprung in ihrer Erziehung. Sie lebt mit Eltern und Großeltern zusammen, die das Lagerleben im KZ überlebt, die Verfolgung und Benachteiligung überstanden haben. Sie sind nicht in der Lage, über das Grauen, das sie erlebten, zu sprechen. Und so schweigen sie. Und erwarten dasselbe von ihren Nachkommen. Über allem schwebt der Gedanke "Was wir durchgemacht haben, war unmenschliche Qual. Was habt ihr denn nun eigentlich zu jammern?"

Das Buch ist ihre persönliche Auseinandersetzung mit diesem stummen Klagen. Esther/Lily ist bewusst, das sie ungerecht ist, möchte sich ändern, weiß aber nicht wie.

Zum Ende des Buches hin wird sie lockerer und vertrauensvoller. Und diese Veränderung ist der rote Faden, nicht die Handlung selbst.

Ich fand es ganz interessant, die Rezensionen bei Amazon zu lesen, denn dort gibt es auch nur Stimmen, die das Buch ganz toll fanden oder zu lang und ohne richtigen Handlungsfaden.


Zum Abschluss noch die Anmerkung:
Ich stimme also eher mit Siebenstein und Schnecke überein. Mir hat der Roman übrigens so gut gefallen, dass ich mir gerade letzte Woche "Chuzpe" aus der Bibliothek ausgeliehen habe.
Scharfsinnig bin ich von Montag bis Freitag. Übers Wochenende leiste ich mir den Luxus der Dummheit.
- Henry Slesar: Die siebte Maske -
Benutzeravatar
marilu
Hilfskrümel
Hilfskrümel
 
Beiträge: 2183
Registriert: 23.04.2006, 20:46
Wohnort: Hannover



Ähnliche Beiträge


Zurück zu Zeitgenössische-Literatur

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron