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Oates, Joyce Carol - Vergewaltigt




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Oates, Joyce Carol - Vergewaltigt

Beitragvon Karthause » 10.06.2012, 10:43

Am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag der USA, wird in Niagara Falls gefeiert. Für Teena Maguire und ihre 12-jährige Tochter, Bethie, ist es spät geworden, sie sind auf dem Weg nach Hause, als sie in einem dunklen Park einer Gruppe unter Drogen stehender junger Männer begegnen. Es wird gepöbelt, gerempelt, gegrapscht, beide werden in ein Bootshaus gezerrt und schließlich wird Teena von den Männern auf brutalste Weise vergewaltigt und danach, als sie nicht einmal mehr wimmern konnte, blutüberströmt, dem Tod näher als dem Leben, liegen gelassen. Bethie konnte einen unachtsamen Moment der Täter ausnutzen und sich verstecken. Sie war es auch, die, nachdem die Männer verschwunden waren, Hilfe holte. So konnte Teena Maguire überleben.

Dies ist nicht das erste Buch, in dem sich Joyce Carol Oates mit dem Thema Gewalt auseinandersetzt, in diesem Fall geht es um Gewalt gegenüber Frauen. Teena ist Opfer und das in mehrfacher Hinsicht, da ist zum einem die Gruppenvergewaltigung, andererseits ist sie ein Opfer der Menschen, die auf die Geschehnisse, mit Worten, wie: sie hat es ja herausgefordert und sie wollte es nicht anders oder sie hat es für Geld getan, reagieren und damit psychisch gegenüber Teena Gewalt anwenden. Aber für mich ist sie auch ein Opfer us-amerikanischer Justiz, sie kann schließlich nicht beweisen, dass sie es nicht wollte.
Joyce Carol Oates erzählt ihre 165 Seiten umfassende Novelle in einem stakkatoartigen Stil in kurzen und kürzesten Kapiteln aus unterschiedlichen Blickwinkeln, hauptsächlich aber aus der Sicht Bethies. Der Erzählstil war zu Beginn ein wenig gewöhnungsbedürftig. Aber dann las ich fast atemlos die Schilderungen der Tat und der Zeit danach. Die endgültige Wirkung setzte jedoch erst ein, als ich das Buch beendet hatte und über das Gelesene nachdachte. Es hallt noch heute in mir nach. Es ist eines dieser Bücher, die man nicht so schnell vergisst. Die Autorin beschreibt das Geschehen direkt, ohne zu beschönigen, ohne ein Blatt vor dem Mund zu nehmen und ohne den Leser zu schonen, aber auch ohne das letzte Detail der Tat zu erwähnen. Sie verurteilt nicht nur Gewalt und Voreingenommenheit, sie prangert auch das Rechtssystem der USA an, in dem scheinbar noch ausschließlich die Männer das Sagen haben. Etwas gerieben habe ich mich an der Figur des John Dromoor. Einst kämpfte er im Golfkrieg, heute ist er als Cop im Einsatz. Er ist die Lichtgestalt, der Helfer in der Not und der allgegenwärtige Heilsbringer. Bethie verliebt sich schlagartig in ihren Retter und für ihn wird der Fall schnell mehr als nur ein Fall, er wird immer tiefer in das Geschehen involviert. So kommt es zu einem Ende, das ich so nicht erwartet hätte und das mich nicht unbedingt zufrieden stellt. Warum das so ist, kann ich an dieser Stelle leider nicht ausführen, da ich auf Spoiler verzichten möchte. Der von einem Widerspruch geprägte Titel erschließt sich dem Leser bei der Lektüre, ob er in jedem Fall nachvollziehbar ist, sei dahingestellt. Er war wirkungsvoll genug, mich zum Kauf dieses Buches anzuregen.
"Vergewaltigt. Eine Liebesgeschichte" ist ein Buch, das berührt, erschüttert und tief unter die Haut geht. Wer sich dem stellen möchte, dem möchte ich es empfehlen und ans Herz legen.

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von Anzeige » 10.06.2012, 10:43

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Re: Oates, Joyce Carol - Vergewaltigt

Beitragvon wolves » 11.06.2012, 07:59

Uff, klingt nach harter aber gut aufbereiteter Lesekost. Mir ist der Name Oates schon öfter begegnet, aber ich kenne kein Buch von ihr. Danke für den Tipp!
Liebe Grüße
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Re: Oates, Joyce Carol - Vergewaltigt

Beitragvon Karthause » 11.06.2012, 08:15

Ich hatte schon Zombie von ihr gelesen und fand es heftig aber gut. Dieses ist wegen des widersprüchlichen Titels zu mir gekommen. Vergewaltigt als Titel und dann eine Liebesgeschichte. Da wollte ich mehr wissen und die Autorin hatte ich ja in guter Erinnerung. Außerdem hatte mombour (?), glaube ich, auch mal geschrieben, dass sie gut ist. Da war bei einem so dünnen Buch das Risiko überschaubar. Ja, das Buch ist hart aber gut und alle meine Vorurteile über das Rechtssystem der USA wurde wieder mal bestätigt.
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Re: Oates, Joyce Carol - Vergewaltigt

Beitragvon Krümel » 11.06.2012, 10:19

Ich wollt schon immer mal was von Oates lesen. Soll ich dieses wählen?
BildLiebe Grüße,
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Re: Oates, Joyce Carol - Vergewaltigt

Beitragvon Karthause » 11.06.2012, 10:35

Oates schreibt ja sehr breit gefächert. Vielleicht wäre ein anderes besser für dich geeignet. Ich glaube eher, diese wäre wohl nichts für dich. Ich fand es gut, bin aber auch eine hartgesottene Krimi/Thriller-Leserin, der es nie zu blutig und zu heftig sein kann. UND es ist durch den Prozess eben richtig amerikanisch.
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